Filmbesprechung: Edie – Für Träume ist es nie zu spät

Emanzipation lohnt sich!

Der Kinofilm aus Schottland zeigt einen Trend, wie er in ganz Europa zu beobachten ist: Edie (Sheila Hancock), eine Frau in den 80ziger Jahren, erfüllt sich einen Herzenswunsch und besteigt den 731 Meter hohen Berg Suilven, eine Tour, die sie vor 30 Jahren unternehmen wollte, zu der es jedoch nicht kam. Überall in Europa sind Menschen im vierten Lebensalter dabei, ihre Träume einzuholen und in die Tat umzusetzen. In diesem Sinne zeigt der von Regisseur Simon Hunter ins Bild gesetzte Streifen eine hochaktuelle Problematik für eine kraftvolle und aktive Generation, die das Älterwerden anders buchstabiert als ihre Vorgänger.

Doch die Geschichte, die wir hier erzählt bekommen, hat nicht nur mit einer Generationenfrage zu tun, sondern auch mit einer Emanzipationsfrage. Der Kern dieser von Drehbuchautorin Elizabeth O’Halloran gestalteten Erzählung ist ein Drama, in dem eine Postkarte, ein Ehemann und eine nur mäßig liebende Ehefrau die Hauptrollen spielen. Edie, als Kind ein Wildfang und an das Landleben gewöhnt, erhält von ihrem Vater eine Postkarte in die Stadt vom Berg Suilven mit dem Text “Wollen wir hier mal rauf? So, wie wir das früher gemacht haben?”. Sie freut sich auf diese Auszeit in der Natur und ihrem früheren Selbst, aber ihr Ehemann verbietet ihr den Ausflug. Statt wie bisher zu gehorchen, findet sie Widerworte, um ihren Standpunkt durchzusetzen. Doch mit dieser Gegenwehr löst sie den Schlaganfall ihres Mannes aus, der fortan gelähmt im Rollstuhl sitzt und seitdem kein Wort mehr gesprochen hat. Weder mit ihr noch sonst mit einem Menschen. In den nächsten 30 Jahren pflegt sie ihn, das Geld ist relativ knapp, eine Pflegerin kann nicht bezahlt werden und diese beiden Menschen verbringen Jahrzehnte ohne wirkliche Teilnahme am Leben.

Nach dem Tod ihres Mannes und einer Phase der Selbstbesinnung macht sie sich an den Aufstieg aus der Unterwelt. Der anlassgebende Berg Suilven wird zum Ziel für den notwendigen Befreiungsschlag. Nach zahlreichen Hindernissen macht sie sich mit ihrem Rucksack inklusive Bergausrüstung und Zelt auf die Reise. Alles ist schwer. Die eigentliche Begegnung mit dem Berg lässt sie den Kontakt zu jugendlichen Bergsteigern und einem Ausrüstungsshop finden, mit der Folge, dass sie sich durch modische Bergkleidung und optimierte Ausrüstung der Zeit anpasst und die zu erwartenden Strapazen verringern kann.

Regisseur Hunter gelingt es, den Generationenkonflikt, der vor allem die scheinbare Lächerlichkeit von Edies Ansinnen aus vielen Perspektiven beleuchtet, mit skurrilen Begebenheiten und markanten Szenen darzustellen. Doch neben gesundem Menschenverstand stehen Edie ihr eiserner Wille und die Fitness einer älteren Generation zur Verfügung, die noch mit Entbehrungen umzugehen gelernt hat – und traditionelle Problemlösungen aktivieren kann. Ob die Konfrontationen und die Bündnisse mit der Jugend, insbesondere Jonny (Kevin Guthrie), immer glücklich umgesetzt oder gar motiviert worden sind, mag dahingestellt bleiben. Doch die Ausnahmeleistung dieses Films besteht in den tragenden intensiven Gefühlsbewegungen der 84jährigen Hauptfigur Edie. Das langsame Erzähltempo transportiert die magischen Momente des Films, zu der jeder sein eigenes Verhältnis finden darf. Fest steht sicherlich eines: Emanzipation lohnt sich. Sehenswert und lehrreich.

Ab 23. Mai 2019 im Kino.

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